Manchmal, wenn ich so am Abend sitze und zu den Abendwolken hinüberschaue, die drüben gerade in meiner Höhe schwimmen (…) in langen Bänken über dem Himmel gelegen (…), dann bin ich nahezu zufrieden. Ich sehe die Welt da unten liegen und denke: Du kannst mir gestohlen werden. Ich habe kein Glück in dieser Welt gehabt, ich habe nicht gut zu ihr gepasst, und sie hat mir meine Abneigung reich erwidert und vergolten. Aber umgebracht hat sie mich nicht. Ich lebe noch, ich habe ihr Trotz geboten und habe mich gehalten (…).
(…) Zuschauen können ist eine vortreffliche Kunst, eine raffinierte, heilsame und oft sehr vergnügliche Kunst.
Ich habe diese Kunst an den Abendwolken gelernt. Immer, wenn ich so am Abend meine Stunde auf dem Balkönchen sitze, habe ich es mit den Wolken zu tun, denn mein hochgelegenes Vogelnest blickt ja mitten in die Wolken hinein.Im späten schrägen Goldlicht steht
Das Volk der Häuser still durchglüht,
In kostbar tiefen Farben blüht
Sein Feierabend wie Gebet.
Eins lehnt dem andern innig an,
Verschwistert wachsen sie am Hang,
Einfach und alt wie ein Gesang,
Den keiner lernt und jeder kann.
Gemäuer, Tünche, Dächer schief,
Armut und Stolz, Verfall und Glück,
Sie strahlen zärtlich, sanft und tief
Dem Tage seine Glut zurück.
Bauer und Nomade
Nachdem Hermann Hesse im Lauf seines Lebens sehr häufig seinen Wohnort gewechselt hatte ("... hatte ich das Gefühl von Sesshaftigkeit, und eben darum auch zuweilen das Gefühl der Gefangenschaft, des Verhaftetseins an Grenzen und Ordnungen …"), war die Casa Rossa nun sein letztes Domizil. Sein Freund Hans C. Bodmer überließ ihm dieses Haus auf Lebenszeit.
"Wieder einmal unternehme ich es, mich neu einzurichten, und wieder geschieht es für's ganze Leben, und diesmal wird es vermutlich stimmen."
Nun war Hermann Hesse "Wider allen Erwartens" angekommen und genoss "das Gefühl der Sesshaftigkeit, des Heimathabens, das Gefühl der Freundschaft mit Blumen, Erde, Quelle, das Gefühl der Verantwortlichkeit für ein Stückchen Erde, für fünfzig Bäume, für ein paar Beete Blumen, für Feigen und Pfirsiche…"
Da blickte jedes Fleckchen Rot oder Ocker so klangvoll aus dem Grünen, jeder alte Rebenpfahl mit seinem Schatten stand da so nachdenklich, schön und in sich versunken, und noch im tiefsten Schatten sprach jede Farbe klar und kräftig.
Im trocknen Grase lärmen Grillenchöre,
Heuschrecken flügeln am verdorrten Rain,
Der Himmel kocht und spinnt in weiße Flöre
Die fernen bleichen Berge langsam ein.
Es knistert überall und raschelt spröde,
Auch schon im Wald erstarren Farn und Moos,
Hart blickt im dünnen Dunst der Himmelsöde
Die Julisonne weiß und strahlenlos.
Einschläfernd laue Mittagslüfte schleichen.
Das Auge schließt sich müd. Es spielt das Ohr
Im Traum sich die ersehnten, gnadenreichen
Tonfluten kommender Gewitter vor.
Wir sitzen bei einem Grotto am steilen Waldhang auf kleiner Terrasse, die man auf ungefügen Stufen erklimmt, und die Raum für einen oder zwei Tische hat.
Ungeheuer steigen die Stämme der Bäume empor, alte, riesige Bäume, Kastanie, Platane, Akazie. Sie streben hoch hinan, durch ihr Gezweige blickt wenig Himmel, oft bin ich bei fallendem Regen hier gesessen, im Freien im Walde, stundenlang, und bin von keinem Tropfen berührt worden.
Und im beginnenden Herbst meines Lebens
sitz ich allein,
schaue der Welt ins schöne grausame Auge,
wähle Farben der Liebe und male sie,
die so oft mich betrog,
die ich immer und immer noch liebe.
Liebe und Einsamkeit,
Liebe und unerfüllbare Sehnsucht
sind die Mütter der Kunst;
noch im Herbst meines Lebens
führen sie mich an der Hand,
und ihr sehnliches Lied
zaubert Glanz über See und Gebirg
und die abschiednehmende, schöne Welt.
"Ich weiß nur allzu gut, wie flüchtig diese Schönheit ist, wie schnell sie Abschied nimmt, wie plötzlich ihre süße Reife sich zu Tod und Welke wandeln kann."
Jede Blüte will zur Frucht,
Jeder Morgen Abend werden,
Ewiges ist nicht auf Erden
Als der Wandel, als die Flucht.
Auch der schönste Sommer will
Einmal Herbst und Welke spüren.
Halte, Blatt, geduldig still,
Wenn der Wind dich will entführen.
Spiel dein Spiel und wehr dich nicht,
Lass es still geschehen.
Lass vom Winde, der dich bricht,
Dich nach Hause wehen.
Hermann Hesse wohnte von 1919 - 1931 in diesem Haus. In dieser Zeit schrieb er u.A. "Klingsors letzter Sommer":
Klingsor stand nach Mitternacht, von einem Nachtgang heimge- kehrt, auf dem schmalen Steinbalkon seines Arbeitszimmers. Unter ihm sank tief und schwindelnd der alte Terrassengarten hinab, ein tief durchschattetes Gewühl dichter Baumwipfel, Palmen, Zedern, Kastanien, Judasbaum, Blutbuche, Eukalyptus, durchklettert von Schlingpflanzen, Lianen, Glyzinien.